Auswirkungen hoher Umgebungstemperatur auf den Appetit, das Sättigungsgefühl und das Körpergewicht
Es bedarf eigentlich keines wissenschaftlichen Beweises, was jeder weiß: „…,dass der Appetit bei heißem Wetter nachlässt“. Diese Beobachtung ist als so selbstverständlich akzeptiert, dass in der Forschung diesem Thema bislang wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Bisher ist z.B. wenig bekannt, über die Mechanismen, die beim Menschen zu einem Appetitverlust an heißen Tagen führen. Auf der anderen Seite belegen tierexperimentelle Untersuchungen für alle bisher untersuchten Tierarten eine deutliche Abnahme der Nahrungsaufnahme in heißer Umgebung.
Hitzeakklimatisation und Appetit
Bei nicht akklimatisierten Personen führt der Aufenthalt in großer Hitze zu einer reduzierten Nahrungsaufnahme und zu einer Abnahme des Appetits. Gerade zu Beginn einer Hitzeperiode entwickeln Personen häufig einen Zustand der Dehydratation bedingt durch eine zu geringe Trinkmenge. Diese Dehydratation scheint wesentlich an der reduzierten Nahrungsaufnahme unter Hitzebedingungen beteiligt zu sein. Je größer das Flüssigkeitsdefizit, desto geringer die Nahrungszufuhr. Im Verlauf der Akklimatisation und mit zunehmender Normalisierung der Flüssigkeitsaufnahme verliert dieser Faktor als Auslöser des verminderten Appetits an Bedeutung.
Hitze und Luftfeuchtigkeit
Hohe Außentemperaturen in Verbindung mit hoher Luftfeuchtigkeit werden als zusätzlicher Stressfaktor wahrgenommen und verursachen Unbehagen. Auch dieser psychische Stress wirkt sich negativ auf den Appetit aus. Werden Probanden unter extremer Hitze zudem körperlich belastet, so vermindert dies weiter die Nahrungsaufnahme. Im Vergleich zu einer ähnlichen Belastung ohne Hitze lag die Nahrungsaufnahme in einer Studie um 25 % niedriger und führte innerhalb von 12 Tagen zu einem Gewichtsverlust von durchschnittlich 2,5 kg bei den nicht akklimatisierten Teilnehmern und 1,1 kg bei den an die Hitzebedingungen adaptierten Personen. Eine vollständige Akklimatisation vermindert den Einfluss der Hitze auf den Appetit, kann ihn aber nicht vollständig verhindern. Die Kombination aus Hitze und hoher Luftfeuchtigkeit scheint stärker appetithemmend zu wirken als trockene Hitze.
Untersuchungen an Säuglingen, die über mehrere Wochen unterschiedlichen Temperaturen ausgesetzt waren, bestätigen die geringere Nahrungsaufnahme mit ansteigender Umgebungstemperatur (Cooke RE., 1952). In dieser Untersuchung konnte auch gezeigt werden, dass sich nach dem Ende einer Hitzeperiode mit abfallenden Temperaturen auch die Nahrungsaufnahme wieder normalisiert.
Wird das Körpergewicht saisonal beeinflusst?
Epidemiologische Daten zur Variation des Körpergewichts im Jahresverlauf deuten auf einen saisonalen Einfluss hin. Allgemein wird in den Sommermonaten eine reduzierte Kalorienaufnahme mit korrespondierender Abnahme des Körpergewichts im Vergleich zum Winter beobachtet. Die reduzierte Nahrungsaufnahme unter Hitzebedingungen ließe sich physiologisch mit einer Art Schutzmechanismus des Körpers begründen, der verhindert, dass bedingt durch den thermischen Effekt der Verdauung von Nährstoffen und die nachfolgenden wärmebildenden Stoffwechselprozesse (postprandiale Thermogenese) der Körper zusätzlich thermoregulatorisch belastet wird. Damit scheint sich der Körper vor einer drohenden Hyperthermie zu schützen. Die Wirkung der Umgebungstemperatur auf die Körpertemperatur und die durch die Nahrungsverdauung induzierte Wärmebildung scheinen additiv zu wirken. Das erklärt, warum der Appetit nach einer Mahlzeit in heißer Umgebung deutlich stärker reduzier t ist als nach der gleichen Mahlzeit in kühler Umgebung.
Das Set-Point-Gewicht wird im Sommer abgesenkt
Bisherige Beobachtungen legen die Vermutung nahe, dass der Set-Point, die „Stellgröße“ für das Körpergewicht unter Hitzebedingungen verändert wird. Die Theorie des Set-Point besagt, dass das menschliche Körpergewicht genetisch programmiert ist und langfristig nicht wesentlich geändert werden kann. So wie ein Thermostat die Temperatur in einem Raum reguliere, gebe es bei Erwachsenen ein individuelles Gewicht, das der Körper beibehalten wolle. Dieses Gewicht wird Set-Point-Gewicht genannt. Der Körper benötigt im Sommer weniger isolierendes Körperfett und kann die Fettreserven daher reduzieren. Das wird durch eine Absenkung des Set-Point-Gewichts erreicht. Bei starker Hitze kann ein hoher Körperfettanteil die notwendige Wärmeabgabe sogar stören. Um die Thermoregulation in den heißen Monaten nicht zu behindern, wird das Sollgewicht reduziert, in dem der Körper durch eine Hemmung des Appetits und ein verlängertes Sättigungsgefühl die Nahrungsaufnahme bremst.
Klimaanlagen beeinflussen die Nahrungsaufnahme an heißen Tagen
Aus Umfragen bei Restaurant-Besitzern ist bekannt, dass die Umsätze bei heißem Wetter deutlich sinken. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass eine funktionierende Klimaanlage das Essverhalten fast vollständig normalisiert. Kommt es hingegen zu einem Ausfall der Klimaanlage, so sinken die Umsätze beim Essen dramatisch. Untersuchungen legen nahe, dass sich der Appetit beim Essen in warmer Umgebung deutlich schneller reduziert als unter kühleren Umgebungstemperaturen.
Als mögliche Erklärung für eine verringerte Nahrungsaufnahme unter Hitzebedingungen wird eine verzögerte Magenentleerung diskutiert.
Es liegen Hinweise vor, dass sich unter extremer Hitze auch das Verhältnis der Makronährstoffe Fett, Kohlenhydrate und Eiweiß zueinander verändert. Es scheint zu einer gewissen Bevorzugung von fettreichen Speisen zu kommen, während die Proteinaufnahme reduziert wird. Dies steht in Übereinstimmung mit der Beobachtung, dass Proteine die höchste postprandiale Thermogenese aller Makronährstoffe aufweisen.
Fazit
Bisherige Untersuchungen bestätigen die allgemeine Beobachtung, dass unter Hitzebedingungen der Appetit reduziert ist. Auch im akklimatisierten Zustand führt die geringe Nahrungsaufnahme in heißer Umgebung zu einer Abnahme des Körpergewichts. Bedingt durch den häufigen Aufenthalt in klimatisierten Räumen kommen die Auswirkungen einer hohen Umgebungstemperatur auf das Essverhalten heute kaum noch zum Tragen.